Ohne Auto nahezu keine Mobilität: Eckental in Mittelfranken.

21 Jahre lang bin ich in Eckental aufgewachsen, einem Vorort zwischen Erlangen und Nürnberg. Wenn ich heute höre: „Ohne Auto ist man auf dem Land aufgeschmissen“, kann ich das nur zu gut nachvollziehen. Ich bin groß geworden in Suburbia. So würden sie Eckental in den USA nennen. Suburbia ist ein Ort, der ohne arbeitsplatzreiche Metropolen im Umkreis keine wirkliche Daseinsberechtigung hätte.
Letztens bin ich auf YouTube auf den Kanal „Not Just Bikes“ gestoßen. Der Kanal beschäftigt sich mit Städteplanung und kritisiert häufig die einseitige Ausrichtung auf das Automobil. Das brachte mich auf eine Idee. Nämlich mal die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, zu checken.
„Ohne Auto ist man auf dem Land aufgeschmissen.“
Pünktlich mit Ende 17 startete ich 2005 mit den ersten Theorie- und Praxisstunden für den Führerschein. Für mich das nur logisch: mit 18 Jahren das eigene Auto zu haben. Immerhin lagen Nürnberg und Erlangen mindestens 15 Kilometer entfernt. Wie sollte ich denn sonst mobil sein? Systeme wie Bus und Bahn nahm ich gar nicht wahr, ich sah sie de facto nicht, weil sie schon damals unterirdisch performten. Jede*r, der sich von Eckental-Brand mal auf die Bus-Odyssee nach Erlangen zur Bergkirchweih begeben hat, weiß, wovon ich spreche. Also ein Auto. Klarer Fall, war ja auch cool. Irgendwie.
Zu meinem Nebenjob am Nürnberger Flughafen fuhr ich mit dem Auto. Das war allerdings auch wirklich ein Muss. Nachtschichten bis 3:30 Uhr bedeuteten, dass sowieso keine Öffis mehr fuhren, nach Eckental sowieso nicht. Aber auch tagsüber wäre es ein Graus gewesen, zur Schicht mit Bus, Bahn und U-Bahn zu fahren. Das war um das Jahr 2007. Jetzt, 15 Jahre später, hat sich an der öffentlichen Anbindung Eckentals an die Metropolen Nürnberg und Erlangen praktisch nichts geändert. Und das hat mich zum Grübeln gebracht, naja, eigentlich geht es mir dabei eher so:
In Eckental herrscht bis heute pure Auto-Fixierung
Wie kann es sein, dass sich mehr als 20 Jahre nichts an der öffentlichen Anbindung getan hat? Ganz einfach: Eckental ist ein auto-zentrierter Ort, der sogar innergemeindlichen Verkehr häufig ins Auto zwingt, zum Beispiel zum Einkaufen – und dennoch am Autoverkehr leidet, sei es aufgrund von Lärm, Abgasen oder Platzverbrauch. Langfristige Lösungen sucht man in Eckental vergebens. Das möchte ich an ein paar Beispielen zeigen.
Schon lange vor der Jahrtausendwende war klar, dass Eschenau eine Umgehungsstraße bekommt. Genau wie ein paar Jahre zuvor der Nachbarort Heroldsberg, der am Verkehr zwischen Eckental und Nürnberg erstickte.

Easy Ortsumgehung in Heroldsberg: Verkehrsproblem verlagert.

Es sollte außerdem noch eine "Nordspange" nach Kalchreuth entstehen. Das wurde dann aber zwecks Artenschutz gekippt. Trotzdem: Straßen, nichts als Straßen. Etwas anderes fällt den Planer*innen offenbar nicht ein.
Entstehen bald 13 Umgehungsstraßen für jeden einzelnen Ort in Eckental?
Jetzt wird eine Ortsumgehung in der Gemeinde Eckental mit ihren 13 Ortschaften natürlich etwas schwieriger, weil die Sache eben nicht mit einer (bzw. fast zwei) Umgehungsstraße erledigt ist wie in Heroldsberg. Aber der Reihe nach.
2008 wurde die Ortsumgehung für Eckental-Eschenau abgeschlossen. Dafür wurde vor der Ortseinfahrt Eschenau ein Kreisverkehr errichtet, der entweder nach Eschenau führt oder auf die Umgehung, bzw. zurück in Richtung Nürnberg. Sieht so aus:
Früher gab es an dieser Stelle auch noch einen Fußweg, der im Zuge der Kreisverkehr-Konstruktion entfallen musste. Kein Platz. Mit unseren Nachbar*innen sind wir auf diesem Weg (im Bild rot) häufig ins griechische Restaurant spaziert, das direkt am Eschenauer Ortseingang lag und noch immer liegt. Und das führt direkt zum nächsten Problem der Straßenbau-Sucht: mangelhafte „Walkability“.
Alles für den motorisierten Straßenverkehr!
Walkability nennt man im englischsprachigen Raum die Möglichkeit, einen Ort bequem und risikofrei zu Fuß zu erreichen. Auch daran misst man die Qualität der Umgebung; es ist wissenschaftlich erwiesen, dass fußläufig erreichbare Infrastruktur die subjektiv empfundene Lebensqualität steigert
Allerdings ist Walkability eine Eigenschaft, die in Eckental nie hohe Priorität hatte, zumindest nicht, als ich dort als Jugendlicher gelebt habe. Fuß- und Radwege wurden vernachlässigt, es entstand (meines Wissens) nirgends ein Radweg, der NICHT parallel zu einer Bundes- oder Staatsstraße verläuft. Bedeutet: Er war höchstens Alibi-Beiwerk oder entstand, weil eine Quote erfüllt werden musste. Aber nie aus dem Willen, die Gemeinde Rad- und Fußgänger*innen-freundlicher zu gestalten.
Zurück zum Eschenauer Kreisel: Nach diesem Kreisverkehr spannt sich die B2 jetzt teilweise auf vier Spuren in Richtung Eckental-Brand. Nicht sehr einladend für nicht-motorisierte Personen: Fußgänger*innen, Radfahrende. Angenommen, ich würde jetzt ins griechische Restaurant laufen wollen. Ginge das überhaupt? Klar, aber nur mit Umweg:

Menschenfeindliche Infrastruktur in a nutshell: alter und neuer Fußweg von Brand-Süd nach Eschenau

Unterschätztes Phänomen: induzierte Nachfrage
Schauen wir uns doch nochmal kurz an, warum die Ortsumgehung überhaupt gebaut wurde. Bereits in den frühen 1990er-Jahren forderte Eschenau aufgrund des Durchgangsverkehrs straßenbauliche und entlastende Maßnahmen des Ortskerns. Verständlich, würde man meinen, denn sowohl Pendler*innen aus Eckental als auch Leute aus den Gemeinden um Gräfenberg mussten durch Eschenau durch, um nach Nürnberg zu kommen. Zwei Probleme: induzierte Nachfrage, lächerliche Alternativen.
Zunächst zum ersten Punkt: Es ist mittlerweile dank zahlreicher Studien (Beispiel) bewiesen, dass ein Ausbau von Straßen mit dem Ziel, Staus zu verhindern und den Verkehrsfluss zu verbessern, zwangsläufig zum Gegenteil führt. „Induced Demand“ heißt dieses Phänomen auf Englisch. Die Pendelstrecke Gräfenberg-Eckental-Nürnberg ist dafür ein Paradebeispiel.
Kurz: Baut man die Straßenführung aus und erhöht damit die Kapazität, löst das den Stau zunächst auf. Daraufhin nehmen mehr Menschen aus Bequemlichkeit (es gibt ja keine Staus!) den Pkw als vorher, oder die ausgebaute Verkehrsführung lockt sogar neue Einwohner*innen an, weil das Pendeln ja so gut mit dem Auto funktioniert. 
"Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten."
(alte Bauingenieur-Weisheit)
Das erweiterte Angebot führt wiederum zu erhöhtem Verkehrsaufkommen, mehr Staus und macht sozusagen den Ausbau zunichte. Man müsste immer weiter ausbauen. Natürlich ist das nicht überall so. Wer eine vierspurige Straße zwischen Eckental-Brand und Oberschöllenbach baut, induziert zwar (wahrscheinlich) keine Nachfrage, sollte sich aber unbedingt auf geistige Zurechnungsfähigkeit untersuchen lassen.
Insbesondere in pendelintensiven Regionen (wie z. B. Gräfenberg oder Eckental) führt der Ausbau von Straßen regelmäßig zu erhöhtem Verkehrsaufkommen. Die Statistik bestätigt die Theorie: Fuhren 2010 noch 9593 Pkw pro Tag über die neue Eschenauer Ortsumgehung, waren es 2015 bereits 12347 Pkw. Der Witz ist dabei noch ein anderer; die Ortsdurchfahrt Eschenau wird zusätzlich genutzt, und das nicht nur von den Leuten, die zum Beispiel in Eckental-Eckenhaid wohnen.
Die „Gräfenbergbahn“ ist keine Alternative, sie ist eine Zumutung
Seit 1998 fährt die renovierte Gräfenbergbahn (eine Regionalbahn) von Gräfenberg nach Nürnberg-Nordost und passiert dabei auch Eckental-Eschenau. Als Schüler war ich fasziniert von der Gräfenbergbahn; ein paar Mal fuhr ich noch mit den alten Loks und Waggons (vor der Umstellung auf die 642er-Wagen im Jahr 2001) von Eschenau zum Eishockeytraining ins ehemalige Lindestadion in der Äußeren Bayreuther Straße in Nürnberg.
Das war für mich als Teenager wahnsinnig aufregend. Ich war bei meiner ersten Fahrt todesnervös, vergaß sogar, meine Streifenkarte zu stempeln und wurde von der Schaffnerin rund gemacht wie ein Buslenker. Das wäre natürlich anders gewesen, wenn ich in meiner Kindheit die Vorzüge des öffentlichen Nahverkehrs gekannt hätte und eine Routine gehabt hätte, aber die Öffis gab es in Eckental nur in Form von Bussen (Linie 209, nach Erlangen, 17 Kilometer in nur einer Stunde!) und eben der Gräfenbergbahn.

Bummelbahn: Die DB Regio "Gräfenbergbahn" in Gräfenberg.

Die Gräfenbergbahn gilt heutzutage als einer der größten Fails unter den öffentlichen Verkehrsmitteln in der Nürnberger Region. Seit Jahren die Bahn immer wieder aufgrund massiver Pannen und Zugausfällen in den regionalen Schlagzeilen. Wer heute einen Eindruck bekommen möchte, wie es war, im späten 19. Jahrhundert zu reisen, der sollte es einmal wagen, mit der Gräfenbergbahn zu fahren. 
Es ist unterirdisch. Lächerliche Frequenz (teilweise nur zwei-stündlich), Fahrten im Bummeltempo, teils groteske, eingleisige Streckenführung. Als wäre die Zeit im Jahr 1998 stehengeblieben. Investitionen? Kaum. Zu teuer. Das erklärt auch, warum man hier immer noch mit Dieselloks fährt und die Strecke noch nicht längst elektrifiziert hat. Umweltbewusste Mobilität und so.

Gefühlslage bei Fahrten mit der Gräfenbergbahn.

Wo ist die S-Bahn-Anbindung im Nürnberger Nordosten?
Nach beruflichen Stationen in Stuttgart, Hamburg, Berlin und München kam ich so langsam auf die Idee, warum der Nürnberger Nordosten so kläglich angebunden ist, beziehungsweise woran es konkret hapert. Die Gräfenbergbahn ist eine „Nebenstrecke“, so wird sie auch behandelt, und so wird sie auch wahrgenommen. Ich wundere mich, warum ich mit der S-Bahn vom Nürnberger Hauptbahnhof in Käffer wie Leutershausen-Wiedersbach, Hagenbüchach oder Pommelsbrunn fahren kann, aber nicht nach Gräfenberg. 
Führe diese imaginäre S-Bahn in üblicher S-Bahn-Taktung (auf zwei Gleisen), sagen wir, von Gräfenberg bis zum Nürnberger Hauptbahnhof, wäre das eine enorme Aufwertung der Strecke. Induzierte Nachfrage funktioniert im Übrigen auch bei öffentlichen Verkehrsmitteln – sofern sie einen Geld- und Zeitvorteil im Vergleich zum Pkw haben.
Davon ist man in Erlangen-Höchstadt jedoch weit entfernt: Statt einen Ausbau der Bahn-Infrastruktur zu forcieren, gab es letztens grünes Licht für die B2-Ortsumgehung in Eckental-Forth. Noch mehr Flächenversiegelung, noch mehr Asphalt, wahrscheinlich noch mehr Autos. Das kann nicht die Lösung sein. Wäre ich heute 17 Jahre alt, hätte keine Ahnung von Autos und würde in Eckental wohnen - ich würde trotzdem einen Führerschein machen. Müssen.
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