Nach zwei Männern sollten wir Ausschau halten. Duc, unser Gastgeber, hatte uns am Vorabend Bilder von ihnen geschickt. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, aber so richtig professionell wirkt das nicht. Ob das klappt? Und wie sollen wir die Beiden im Gewimmel am Hafen von Cát Bà, Bến Bèo, erkennen?
Sorgen und Zweifel spuken mir auf der Busfahrt von Ha Noi nach Cát Bà durch den Kopf - und, wie sollte es auch anders sein: Am Ende waren sie völlig unberechtigt. "Are you Roman?", fragt mich ein Mann, als wir aus dem Bus hopsen. Es ist einer von Ducs Männern. Sein Name ist "Mister Phong". Wir klettern zusammen mit einem Pärchen aus Thailand auf den Kahn. Zusammengeschustert aus Planken, einem seltsam provisorischen Dach, jeder Menge Patina und einem Motor, der das Gefährt auf keine fünf Knoten beschleunigt. Mehr braucht man ja auch nicht.
Schroffe Heimat der Kriegsflüchtlinge
Mister Phongs Vater steuert das Boot. Wind weht mir ins Gesicht. Salzwasser. Souverän tuckert das Wassertaxi durch die Städte aus Fischerbooten, Muschel-Plattformen und Seelenverkäufern für die Partytouristen, die es zwar hauptsächlich in die Ha Long Bay treibt, manchmal aber auch ein Stück weiter südlich verschlägt - in die Lan Ha Bay.
Die Landschaft wirkt surreal: Karstfelsen türmen sich zu Hunderten rechts und links empor. Ihre Oberfläche: schroff, scharfkantig, garstig. Trotzdem haben Sträucher und Bäumchen Besitz von den Inseln ergriffen. Wie weiches Moos schmiegt sich die Flora an den kalten Fels.
Nach dem Vietnamkrieg zogen sich in den 1970er- und 1980er-Jahren viele politische Flüchtlinge aus dem Landesinneren auf die Inseln zurück, arbeiteten als Fischer oder Austernzüchter. Teilweise bis heute.
Die Autobatterie unterm Bett
Auch unsere Bleibe für die kommenden beiden Nächte diente früher der Muschelzucht. Wie eine ernsthafte Plattform sieht es auch nicht aus, eher wie ein paar zusammengeknotete Floße. Fantastisch. Ein junger Mann hilft beim Ausladen; Mister Phong hat systemrelevante Dinge dabei. Klopapier, Bier, Gemüse, Reis .
Der junge Helfer nennt sich Rick - aber er heißt eigentlich gar nicht so. Das passiert dir in Asien oft. Weil wir unfähigen Europäer die asiatischen Namen nicht aussprechen können, suchen sich die einfach westlich klingende: Rick, Charles oder Anna.
Rick ist 24 Jahre jung, frisch gebackener Ingenieur und macht gerade sein Gap Year. "Ich möchte ein bisschen Geld verdienen, mein Englisch verbessern und bald mal nach Europa oder nach Amerika reisen", sagt er. Sein Lächeln, das sich durch das von Akne gezeichnete Gesicht zieht, ist ansteckend. Er hilft auf dem Homestay aus, wäscht Handtücher, unterstützt Mister Phong beim Kochen, repariert hier und da lockere Holzplatten.
Zeit, das Zimmer zu beziehen. Ein Gestell, eine dünne Matratze, eine LED-Lampe, die mit ihrem kalten Licht eine Art Romantik versprüht, wie sie sonst nur in der Pathologie vorkommt. Zwei USB-Stecker und unterm Bett eine Autobatterie als Stromquelle. Das wars. Kein Tischchen, keine Haken. WLAN gibt es nicht, Netz ebenso wenig. Warmes Wasser? Guter Witz!
Abgeschnitten von der Welt
Es mag abgedroschen klingen, aber ohne die ganzen Annehmlichkeiten lebt es sich besser. Befreiter. Kein Handy, das von dir Besitz ergriffen hat, auf das du ständig schaust, in der Angst, irgendetwas Neues oder Wichtiges zu verpassen. Oder das du rausholst, um dir deine dekadente Langeweile zu vertreiben. Kein Fernseher, der dich nebenher berieselt.
Angenommen, du würdest zwei Wochen auf dem Hausboot verbringen. In dieser Zeit bekommst du absolut gar nichts mit, was in der Welt passiert. Sie könnte untergehen – du würdest es nicht wissen.
Stattdessen liest du ein Buch, schlenderst auf der Plattform umher, knipst ein paar Fotos, lümmelst dich in die Hängematte – in der Hoffnung, nicht direkt wieder rauszukullern. Oder du leihst dir ein Kajak aus, um die Gegend zu erkunden. Meeresluft inhalieren, Ruhe und Einsamkeit genießen.
Beim Paddeln merke ich, dass es, erstens, gar nicht so leicht ist, zu zweit so zu rudern, dass das Kajak geradeaus fährt. Und zweitens, dass wir zwar eine Karte samt Route dabei hatten, Kartenlesen und Navigieren gar nicht mal so einfach ist. Der Spaß dabei ist trotzdem riesig, vor allem, weil die Bucht – abgesehen von den Leuten, die hier auf ihren Plattformen wohnen - beinahe leer ist.
Fauchende Hunde, hölzerne Skelette, private Strände
Viele der hiesigen Farmen sind aufgebaut wie Schachbretter. In den einzelnen Becken gedeihen die Krabben oder Muscheln. Auf den filigranen Streben zwischen den Bassins patrouilliert der plattformeigene Hund und faucht alles an, was zu nahe vorbeischippert. So wird aus einem "Oh, der ist ja süß und flauschig!" ganz schnell ein "Okaaaay, schnell weg, der kann bestimmt schwimmen und frisst uns gleich mit Haut und Haaren!"
Dafür entschädigt die angesteuerte, bis auf ein paar Schiffs-Gerippe völlig leere Insel für den kleinen Schock. Wer allerdings Sand wie aus DiCaprios "The Beach" erwartet, wird enttäuscht. Kieselig und bedeckt von scharfkantigen Korallen und Muscheln - ohne leichtes Schuhwerk wirds schmerzhaft. Die kleine Kajak-Tour dauert knapp vier Stunden. Als wir zurückkommen, bereitet Mister Phong das Abendessen zu: Darunter sind auch Muscheln, direkt von nebenan, geerntet nach acht Monaten.
Entspannte Abende, eiskalte Nächte
Mister Phongs kulinarische Zauberei überzeugt auch Teilzeit-Vegetarier davon, mal ein bisschen vom Seafood zu naschen: Fisch, Muscheln, Dinger, die aussehen wie Miniatur-Hummer und die du erst einmal von ihrem Panzer befreien musst, um an die gefühlt 1,3 Gramm Fleisch zu kommen. Nervig, aber es lohnt sich.
Auch für die anderen Gäste aus Lettland und der Ukraine ist es ein Festmahl, das mit einer Menge Bia Saigon begossen wird. Ein wiederkehrendes Problem dabei ist das Wetter: Nachts wird es richtig frisch, mehr als 12 Grad dürften es nicht gewesen sein. Eingepackt in lange Hose, Pulli und Jacke - das entspricht nicht ganz den Erwartungen an einen Abstecher ans Meer.
Fantastisch war es auch ohne tropische Temperaturen, und eine echte Empfehlung für alle Backpacker in Vietnam. Wie großartig es bei richtig gutem Wetter ist, lässt sich schwer vorhersagen. Denn: Bei gutem Wetter wird es in der Lan Ha Bay wohl auch deutlich voller, als sie es bei unserem Besuch war.
Mister Phongs Vater ist früh dran. Um kurz nach 9 tuckert er mit seinem Boot zur Plattform, wir alle helfen ihm beim Ausladen. Dann laden wir unseren Kram ein. Es ist Abreisetag. Gemeinsam mit dem Pärchen aus Thailand verabschieden wir uns von der Plattform, von Rick und den anderen Gästen.
Mister Phong und sein Vater fahren beide mit zurück zur großen Insel Cát Bà, zum Hafen von Bến Bèo. Dort warten die nächsten Gäste. Duc hat ihnen bestimmt schon Bilder geschickt.
Wir gönnen uns ein Knoblauchbaguette, es dauert noch ein paar Minütchen bis der Bus kommt. Der bringt uns nach Cát Bà. Von dort geht es nach Haiphong. Und dann mit einem anderen Bus nach Ninh Bình. Oder?