Schon erstaunlich: Da steht im Reiseführer, dass der Bạch Mã-Nationalpark einer der am einfachsten zu erreichenden Parks in ganz Vietnam sein soll. Easy. Einfach abends in Đà Nẵng ankommen, und am nächsten Tag gleich weiter in die Natur, in die Berge. Denkste.
Bei unserer Ankunft am erstaunlich kleinen Flughafen in Đà Nẵng konnte uns schon mal niemand helfen. Niemand kannte diesen Park, der zighundert Vogel- und Pflanzenarten beheimatet, durch den Leoparden streifen und der mehrere große und kleine Wasserfälle im Dschungel-Dickicht versteckt. Na gut, schau'n mer mal.
1965 landeten die US-Streitkräfte in Đà Nẵng
Auch wenn Đà Nẵng jetzt keine Stadt von Weltruhm ist, prägt sie dennoch eine besondere Geschichte. 1965 landeten die US-Marines auf vietnamesischen Boden. Das markiert offiziell das Eingreifen der USA in den Vietnamkrieg unter Präsident Johnson und den Beginn einer von Anfang an hoffnungslosen Mission.
Doch die USA waren schon vor 1965 in Vietnam: Sogenannte Militärberater trainierten und leiteten die Operationen der südvietnamesischen Armee im Kampf gegen den kommunistischen Norden und den Việt Cộng im Süden. Đà Nẵng diente ab 1965 als zentraler Stützpunkt der US-Armee und war zudem der nördlichste Flughafen des Südens.
1975 fiel die Stadt an den am Ende siegreichen Norden unter der Führung von Generalsekretär Lê Duẩn, dem Nachfolger des noch heute verehrten Hồ Chí Minh. Mit den US-Streitkräften kamen auch die Produkte des kapitalistischen Westens erstmals nach Vietnam. Coca Cola, Lucky Strike, Cadillac. Und mit ihnen gingen sie wieder. Bis 1994 das US-amerikanische Handelsembargo aufgelöst wurde.
Heute wird auch in Vietnam gern westlich und besonders gern amerikanisch gekauft: Die beiden größten Wassermarken, Aquafina und Dasani sind Marken von Pepsico respektive Coca Cola. "La Vie" stammt von Nestlé, dem unter anderem wegen dubioser Geschäftspraktiken in Afrika in Ungnade gefallenen französischen Multimilliarden-Doller-Konzern.
Bánh Mì: das beste Baguette der Welt
Doch nicht alles, was in Vietnam aus Frankreich kommt, ist schlecht. Die Geschichte der beiden Länder ist wahrlich nicht die beste - Stichwort: Indochina-Kriege. Aber eine gute Sache, einen guten Einfluss, gibt es: den der französischen Küche, den man an jeder Straßenecke sieht.
Bei unserem ersten, nächtlichen Streifzug durch die Millionenstadt Đà Nẵng auf der Suche nach etwas zu Essen trafen wir an einer spärlich beleuchteten Straße eine Frau mit ihrem Essenswagen. Sie bot Bánh Mì feil. Ein Baguette, gefüllt mit Chili-Soja-Fisch-Sauce, Chinakohl, Gurken, Karotten, Koriander, Minzeblättern und auf Wunsch mit Rind-, Schweine-, Hähnchenfleisch oder vegetarisch mit Spiegelei. Fantastisch.
Weltweiten Ruhm erlangte das Bánh Mì dank Star-Koch Anthony Bourdain, der das belegte Baguette in der wunderschönen Stadt Hội An für sich entdeckte.
Die schönen Ecken von Đà Nẵng
Die wechselhafte Geschichte hat Đà Nẵng nicht geschadet: Wie fast jede Stadt blüht auch Đà Nẵng in den vergangenen zehn Jahren auf. Der Unterschied zum Norden Vietnams und Hà Nội ist spür- und sichtbar, nicht nur beim Wetter, das ausnahmsweise mal sonnig und warm war. Die Architektur ist moderner, westlicher und steriler als im Norden.
Aber es gibt natürlich auch in Đà Nẵng wunderbar schöne Ecken. Zum Beispiel das Viertel um die Drachenbrücke Cầu Rồng. Schmale Gässchen, beeindruckende Street-Art. Dann, an der Strandpromenade Võ Nguyên Giáp: funkelnde Wolkenkratzer, teure Hotels.
Der Strand selbst, Bãi tắm Phạm Văn Đồng, scheint unendlich. Er ist mehr als 25 Kilometer lang. Und schön. Tagsüber liegt man fast alleine zwischen Fischerbooten, die aussehen wie übergroße Kokosnussschalen. Abends kommen dann - pünktlich zum Sonnenuntergang - die Instagram-Boys und -Girls.
Ein Pärchen haben wir ganz gut beobachten können - mehr als zwei Stunden lang auf der Suche nach dem perfekten Schnappschuss. Tänzelnd, kichernd, posierend. Das junge Vietnam.
Raus aus Đà Nẵng: Im "Local Bus" zum Bạch Mã-Park
Mittlerweile sind wir auch ein bisschen schlauer geworden, was die Anreise zum Bạch Mã-Nationalpark betrifft. Wie sich herausstellt, könnten wir den Zug nehmen, der täglich zwischen Ha Noi und Sài Gòn pendelt und auch halt in Đà Nẵng macht. Oder wir wagen uns an die Busse, die eigentlich nur von Vietnamesen genutzt werden. Am nächsten Morgen stehen wir am Busbahnhof in Đà Nẵng und verstehen tatsächlich nur Bahnhof.
Der Bus nach Huế müsste es sein. Aber als wir einen Fahrer nach einem Xin Chào (das hat er noch verstanden) fragen, ob der Bus auch in Bạch Mã Halt macht, schaut er uns nur fragend an: "Bạch Mã?!" Übersetzt bedeutet das wohl "Weißes Pferd". Kein Wunder: Ich würde auch so schauen, wenn mich in Deutschland jemand auf der Straße nach "Weißes Pferd?" fragen würde. Glücklicherweise hört unsere Frage noch ein anderer Busfahrer. "Ah, Bạch Mã, Park? National Park?" Ja!
In der Tat: Wir steigen in den Bus nach Huế, der alten Hauptstadt, die im Vietnamkrieg Schauplatz heftiger Kämpfe mit Hunderten Toten war. Nett wie die Busfahrer und Ticketverkäufer sind, haben sie uns erklärt, dass sie uns rauswinken, wenn wir am Nationalpark sind. Das tun sie auch. Cảm ơn bạn, vielen Dank.
Mit dem Mazda auf den Berg
Unsere Endstation heißt: Ga Cầu Hai, der Bahnhof von Cầu Hai, direkt an der Nord-Süd-Trasse QL1A. Noch schnell was zu Essen und Trinken gehamstert, bringen uns zwei Xe Ôms (Motorradtaxis) für jeweils 50.000 Dong zum Eingang des Bạch Mã-Nationalparks. Auf den Gipfel geht es mit einem Pickup-Truck der Parkverwaltung, gemeinsam mit einem vietnamesischen Pärchen, mit denen wir uns die 500.000 Dong (20 Euro) teure Fahrt aufsplitten.
Und die Fahrt hat es in sich. Es geht steil bergauf - teilweise mit bis zu 10 Prozent Steigung. Keine einfache Sache für den Mazda BT50-Pickup-Truck, der sich müht, Meter für Meter auf der Betonplatten-Piste zu erklimmen. Vor jeder Kurve hupt der Fahrer mehrmals, damit er und der womöglich Entgegenkommende nicht überrascht werden. Und dass wir nicht in einem großen Feuerball sterben. Das haben an diesem Berg schon viele vor uns getan - und das reicht auch.
Dschungel, Helikopter-Landeplätze und fast keine Menschen
Ganz oben angekommen, knipst unser Pickup-Fahrer noch schnell ein Bild von uns. Hintergrund: Falls wir verloren gehen sollten, kann die Parkverwaltung so nach uns suchen (lassen). Den Bạch Mã-Nationalpark haben schon die französischen Besatzer Vietnams geschätzt. Sie ließen sich prachtvolle Villen mitten im Dschungel errichten, schwer erreichbar und heute zumeist zerfallene Ruinen. Ein paar hat die Parkverwaltung herrichten lassen. Sie dienen als Pensionen innerhalb des Parks.
Unser Fahrer hat uns fünf Stunden Zeit gegeben. Dann, um 16:30 Uhr, sollen wir am Treffpunkt sein, irgendein Parkplatz mitten im Dschungel. Während am Parkeingang noch etwa 20 Menschen mit uns rumstanden, sehen wir außer unseren zwei vietnamesischen Begleitern schnell niemanden mehr. Auch von den beiden setzen wir uns ab – wir haben einen schmalen Pfad entdeckt, der zum alten Helikopter-Landeplatz führt.
Mitten auf dem Gipfel von Bạch Mã hat die US-Armee einen Außenposten errichtet. Einen schwer umkämpften Außenposten. Abseits der Wege liegt heute noch Munition .
Trügerische Schönheit? Mittlerweile nur noch "Schönheit"
Am Gipfel stehen zwei Tafeln, "Bạch Mã 1967" und "Bạch Mã 1989", die Inschrift ist auf Englisch. Ein Soldat der US-Marines berichtet von seinen Erlebnissen, die er vor rund 50 Jahren dort erlebt hat, und von seiner Wiederkehr an diesen Ort. Über 1967 schrieb er: "Als ich hier ankam, wurde ich von der Schönheit dieses Ortes übermannt, die dichten, tiefgrünen Wälder, der Ausblick. Aber die Hitze machte uns zu schaffen, die Sonne versengte unsere Haut, jeden einzelnen Tag. Wir ahnten es: Lange würde es hier nicht friedlich bleiben."
Nahe des Gipfels verliert der Dschungel an Dichte. Agent Orange, das Entlaubungsmittel, setzte die US-Luftwaffe auch hier ein – mit bis heute sichtbaren Spuren in der Landschaft. Auf dem Gipfel angekommen, warten wir kurz auf unsere beiden Mit-Touristen und steigen dann ab vom Gipfel in den Urwald. Mit jedem Schritt wird es subtropischer, feuchter, stickiger, heißer. Kein Wind wie ganz oben. Wir hören Zikaden, das Rascheln der Blätter, wir sehen riesige Farne und Bäume, die sich wie ein Dach über den Boden spannen.
Die größte Überraschung an einem großartigen Tag: der "Five Lake Trail"
Wir erreichen die Straße. Einen kleinen Schreck haben wir beim Abstieg auch bekommen: Mitten im Dschungel lag plötzlich die Jacke unseres vietnamesischen Kollegen, der mit seiner Freundin vorausgegangen war. Ist etwas passiert? Mussten sie schnell runter zur Straße, um Hilfe zu holen? Sind sie im Unterholz und haben die Jacke als Wegweiser zurückgelassen? Oder hat er sie einfach nur vergessen?
Unten angekommen sitzen die beiden auf einer kleinen Mauer am Straßenrand - ich spreche ihn auf seine Jacke an. "Oh, my jacket? Oh no", sagt er etwas niedergeschlagen und stapft schnellen Schrittes den schmalen, sandigen Weg wieder nach oben. Nach zehn Minuten ist er wieder da. Verschwitzt, mit der Jacke in der Hand. Nicht schlecht.
Die beiden entscheiden sich für eine Pause in einer restaurierten französischen Villa; wir nehmen den Weg, der uns zum schönsten Ort Bạch Mãs bringt: dem Five Lake Trail. Als absoluter Kletter-Amateur hab ich Bammel, als ich den "Weg" sehe: rutschige Felsen, matschig-sandige Pfädchen entlang eines Bachs, der insgesamt fünf größere Teiche speist.
Immer schön am Seil festhalten, auf jeden Schritt achten, und siehe da: Nach ein paar Minuten hab ich's raus, meine ich zumindest, und hangel mich, die Kamera um den Hals baumelnd, am Wasser entlang. Was ein Trail! Fabelhaft.
Wir machen Pause, lassen die Füße ins Wasser baumeln. An einem der fünf Seen springen ein paar Einheimische ins Wasser. Andere sitzen auf den Felsen und picknicken. Dann queren wir einen Fluss, und zwar nicht über eine Brücke, sondern über einzelne Steine, die aus dem Wasser ragen.
Meine Schritte müssen schon sehr groß sein, die Steinbrücke glänzt. Nass und glitschig. An einem Stein rutsche ich leicht ab, spring aber schnell weiter - trotz einer kleinen Herzattacke. Mit der Kamera im Wasser landen, das wäre eher so mittel.
Überpünktlich schaffen wir es zum Treffpunkt. Auf dem Boden hockend beobachten ein paar Irre, die den gesamten Aufstieg vom Parkeingang bis ganz nach oben zu Fuß gewaltmarschieren. 1.500 Höhenmeter sind das, in der prallen Sonne. Bei 30 Grad. Uns reichen schon die gut 20 Kilometer, die wir heute durch Bạch Mã spaziert, geklettert und geschlittert sind.
Die Café-Besitzerin, die dem Bus hinterherrennt
Unser Fahrer erreicht den Treffpunkt mit seinem roten Pickup, zieht sich die Cappy zurecht, grinst. "Nice day, huh?" Das vietnamesische Pärchen lässt er am Besucherzentrum raus, uns fährt er netterweise noch ins Tal, nach Cầu Hai. Auf dem Weg dorthin zeigt er uns aus dem Auto sein Haus. Im Hof stehen zwei Fahrräder und ein Roller. Es ist ein idyllisches Häuschen, sogar eingezäunt. Im Nachbarhaus singen sie Karaoke, wie so oft in Vietnam. Wir geben ihm ein kleines Trinkgeld, er strahlt, bedankt sich herzlich und braust in einer Staubwolke davon. Erstmal eine eiskalte Cola.
Wir erzählen der Besitzerin des Cafés, dass wir den Tag im Park verbracht haben und jetzt zurück nach Đà Nẵng fahren - mit dem Bus. Hinsetzen, die Cola-Flasche zischt beim Aufmachen, Kondenswasser läuft an der bauchigen Flasche herunter. Chillig. "Heeeey, heeey!", die Café-Besitzerin spurtet aus ihrem Lädchen in Richtung Straße. Was los?
Sie winkt uns zu ihr. Just in diesem Moment kommt der weiß-blaue Bus mit der gelben Aufschrift Đà Nẵng an, der Fahrer springt raus, lässt uns einsteigen. Wir klettern über Metallrohre, die den ganzen Mittelgang des Busses einnehmen, über Pakete und Blumen hinweg zu zwei freien Sitzplätzen. In Vietnam nutzen sie diese Busse auch, um Post zu verschicken, oder eben, nun ja, Rohre. Also Rohrpost. Wie auch immer.
"One hundred thousand Dong", sagt der Ticketverkäufer zu uns. Vier Euro. Für beide. Einheimische bezahlen ein bisschen weniger. Ist okay. Der Bus hat ja auch extra für uns angehalten. Erschöpft sinken wir in die Sitze, im Fernsehen (ja, der Bus hat WLAN und einen TV) läuft eine YouTube-Playlist mit vietnamesischen Liedern.
In Đà Nẵng angekommen, gönnen wir uns in einem Bezirk, der alles ist, aber nicht touristisch, eine Phở Bo. Kleine Plastikstühlchen in Rot und Blau stehen in diesem Mini-Restaurant - wie fast überall. Ein Hund beschnuppert uns – ob er schon mal müffelnde deutsche Touris gerochen hat? Quasi direkt hinter uns befindet sich das Wohnzimmer der Familie, die dieses kleine Straßenrestaurant betreibt. Die Phở schmeckt genial, würzig, scharf, frisch. Das Rindfleisch: butterzart. Vietnam, wo warst du nur mein ganzes Leben?
Das dachte sich auch Anthony Bourdain, der nur ein paar Kilometer weiter in Huế sein Lebensglück fand. Ich verstehe ihn nur allzu gut. Schade, dass er uns nicht mehr mit auf seine kulinarischen Reisen mitnehmen kann.
Wir verlassen das wunderbare, noch immer leicht unterschätzte Đà Nẵng. Mit dem Bus geht es weiter. Aber du entscheidest - wie immer - wohin du möchtest.
Wo soll es hingehen?