Xin Cháo! Hà Nội empfängt uns mit Regen
Eigentlich hätte es eine Flucht ins Warme werden sollen, vom im Februar fröstelnden Deutschland in die feucht-warmen Gefilde Südostasiens. Doch manchmal kommt es erstens: anders; und zweitens: als man denkt. Nach 13 Stunden Flugzeit und vier zusätzlichen Stunden Aufenthalt in Dubai empfing uns Vietnam, oder besser: empfing uns Hà Nội mit einer vor Regen triefenden Tristesse, wie sie grau-matschiger hätte nicht sein können. Und irgendwie war ich in meinem jugendlichen Leichtsinn auf T-Shirt-Wetter eingestellt.
Zum Glück habe ich einen Pulli und einen fleddrigen Windbreaker dabei – für An- und Abreisetag. Eigentlich. Beides sollte ich in den kommenden knapp drei Wochen häufiger brauchen, als mir lieb war. Trotzdem würde ich alles wieder genauso machen. Ja, auch Hà Nội bei 13 Grad und Regen. Weil: Bei schönen Wetter kanns ja jeder.
Die Fahrt in die Stadt kostet günstige 35.000
Vom Flughafen kommt man ganz einfach in die 45 Kilometer entfernt liegende Stadt, vor allem mit dem Bus. Klar, auch in Vietnam lauern überall am Ausgang des Flughafens Noi Ba Taxifahrer, die – für europäische Verhältnisse – erstaunlich günstige Tarife im Angebot haben. Für 200.000 Vietnamesische Dong (ca. acht Euro) in die Stadt? Verlockend. Doch halt! Nichts schlägt den Local Bus, Linie 8. Für 70.000 Dong (ca. 2,80 Euro) fährst du zu zweit ins Stadtzentrum Hà Nộis. Ins Old Quarter.
Auch wenn man es während der Busfahrt beim Aus-dem-Fenster-Schauen höchstens erahnen konnte: Der Straßenverkehr ist ein absolutes Chaos. Aber es funktioniert. Irgendwie. Kreuz und quer, rote Ampeln, grüne Ampeln. Egal. Und Roller, überall Roller! Und jeder hupt, immer!
Beim Überqueren der Straße als Fußgänger gilt – egal, ob zwei Spuren oder deren acht: einfach loslaufen. Augen geradeaus. Nicht langsamer werden. Weiterlaufen. Auf der anderen Straßenseite durchschnaufen. Erfordert beim ersten Mal ein bisschen Mut, klappt dann aber erstaunlich gut. Der Verkehr fließt irgendwie und hoffentlich um dich herum, nicht durch dich durch.
Die älteste Hauptstadt Südostasiens
Hà Nội, was übersetzt so viel bedeutet wie "Stadt zwischen den Flüssen", gilt als älteste Hauptstadt in Südostasien. Die erste Erwähnung der Stadt liegt satte 1010 Jahre zurück – als Thăng Long. Noch heute prägt die Zitadelle mit ihrem berühmten Turm das Stadtbild. Nicht weit davon entfernt ruht Hồ Chí Minh: Revolutionär, Vorzeige-Kommunist und oberster Führer Vietnams in seinem Mausoleum. Onkel Ho ist omnipräsent: Sein Konterfei ziert jeden einzelnen Geldschein.
Auch sonst fühlt sich Hà Nội irgendwie noch immer bilderbuchkommunistisch an – falls man das so beschreiben kann. Zumindest nach außen. Verhältnismäßig viel Militär in den Straßen, untergebracht in kleinen Häuschen, die aussehen wie kugelsichere, verglaste Litfaßsäulen. Das Regierungsgebäude gegenüber des Onkels Grabstätte, der Presidential Palace, das Verteidigungsministerium; grotesk-monumentale Bauwerke mit leichtem Hang zur Gigantomanie.
Das Herz Hà Nộis ist das Old Quarter
Am Rand des Hoàn Kiếm-See sitzen zwei Jungs auf den für Vietnam typischen Miniatur-Plastikmöbeln. Beide rauchen. Der Schein der nasskalten Stadt spiegelt sich im ruhigen Wasser. In elegantem Rot erhebt sich die Huc-Brücke über den See, die zum Tempel des Jadebergs führt, vietnamesisch Đền Ngọc Sơn. Leider ist es schon zu spät für eine Begehung. Nicht so schlimm, denn die beleuchtete, Anfang des 19. Jahrhunderts erbaute Brücke und der Tempel sehen aus der Ferne wunderbar aus, vor allem abends.
An der Straße Đinh Tiên Hoàng wartet ein Rikscha-Fahrer auf Kundschaft, auf der anderen Straßen hängen die kunterbunten Shirts, Pullis Jacken, Rucksäcke einer Straßenhändlerin. Offenbar ist gerade "The North Face" ein echter Renner – und wird tausendfach plagiiert, und das nicht mal schlecht. Wir gehen weiter. Im leichten Nieselregen spiegelt sich die Staatsflagge in den vielen Pfützen auf dem Gehsteig. Im Hintergrund knattert der Verkehr vorbei. Zeit für die erste Phở Gà, die traditionelle vietnamesische Nudelsuppe mit Hühnerfleisch.
Beim Schlendern durch die Straßen und Gassen fallen immer wieder Moped- oder Roller-Fahrer mit grünen Jacken auf, bestückt mit einem zweiten Helm: Grab-Fahrer. Grab ist das Uber Vietnams, also eine Ride-Hailing-App, mit der man sich entweder ein Roller-Taxi bestellen kann, oder eben ein normales Auto. Unser Fahrer kommt in einem klapprigen Kia Morning (bei uns: Piccanto), spricht nicht und fährt uns für 24.000 Dong (nicht mal 1 Euro) vom Hoàn Kiếm-See ins Old Quarter, Hà Nộis Altstadt, Hà Nộis Herz.
Schmale Gasse? (Ha) Noi, Hauptverkehrsstraße!
Im Old Quarter (offiziell: Phố cổ Hà Nội) quetschen sich Häuser, Menschen, Waren und Roller enger aneinander als schunkelnde Pärchen auf der Münchner Wiesn. Was bei uns maximal als schmales Gässchen durchgeht, ist hier eine Hauptverkehrsader, sodass man permanent fürchtet, von einem Roller niedergemäht zu werden. Passiert natürlich nicht. Aber als Deutscher, der nachts bei leeren Straßen an roten Fußgängerampeln wartet, bist du erst mal skeptisch.
Das Old Quarter war (und ist) das kulturelle Zentrum Hà Nộis, hier saßen früher alle wichtigen Wirtschaftszweige, hier wurde und wird gehandwerkelt, hier spielt sich ein Großteil des Stadtlebens ab. Auf vietnamesisch heißt das Viertel auch Hà Nội 36 phố phường, das Viertel der 36 Straßen – oder der 36 Gilden, genau weiß man das nicht. Einzelne Straßen widmen sich bestimmten Handelswaren und Handwerkskünsten, so gibt es zum Beispiel die "Straße der roten Seide" (Hàng Đào) oder die "Straße der Silberwaren" (Hàng Bạc).
Zudem füllen Straßenstände das Old Quarter. Manche verkaufen Frühlingsrollen, andere Fisch. Und wieder andere haben noch lebende Langusten und anderes Krebsgetier in ihren Eimern zappeln.
Ach ja – und man kann sich seine Haare mitten auf der Straße schneiden lassen. Der gute Herr hat seinen "Salon" mitten im Old Quater zwar eigentlich schon geschlossen, aber für ein paar gute Worte und umgerechnet acht Euro kürzt er mir dann doch die Matte. Weil es bereits dunkel wird, schnallt er sich noch eine Kopflampe um. Leicht abenteuerlich, nicht ganz billig, aber jeden einzelnen Dong wert.
Ein Klassiker: die Train Street Hà Nội
Klassische Sehenswürdigkeiten in Hà Nội sind weltweit bekannt: Ho Chi Minhs Grabstätte, den Hoàn Kiếm-See, die zahlreichen Museen, der Literaturtempel oder die Wasserpuppentheater (haben wir leider nicht geschafft, schade). Dann gibt es einen Ort, der erst in den vergangenen Jahren tausendfache Aufmerksamkeit bekam – sozialer Netzwerk sei Dank: die Train Street.
Ein Reisezug fährt durch eine enge Gasse. Die Tatsache klingt jetzt nicht so unglaublich atemberaubend: Ähnliches gibt es auch in Indien, Thailand, Indonesien. 1902 von den Franzosen erbaut, führt die Zugstrecke von Lào Cai über Hà Nội, Ninh Bình und Đà Nẵng nach Sài Gòn (Ho-Chi-Minh-Stadt). Und eben auch durch die Train Street.
Ja, vielleicht hat das Sträßchen ein bisschen viel Insta-Fame abbekommen. Trotzdem: Es ist fabelhaft. Wenn das Timing stimmt. An einer Ecke der Straße Dien Bien Phu winkt uns eine Frau mittleren Alters (also, glaub ich zumindest) zu sich und fuchtelt mit den Händen, zeigt in die Train Street. Ich verstehe kein Wort. Eine Nachbarin hilft. Wir sollten ihr folgen, der Zug kommt gleich. Ach so.
Ein Cà phê sữa đá, also einen vietnamesischen Eiskaffee – dafür ist immer Zeit. Wir kraxeln an den Gleisen entlang, schlängeln uns an Rollern vorbei und stehen ruckzuck in einem der etlichen Miniatur-Cafés. Eine Minute später ist es soweit: Das Zughorn ertönt schon erstaunlich nah. Wuselig rücken die Frauen die Mini-Tischchen beiseite, nehmen den Haus-Hund an die Leine und befehlen uns, ganz nah an die Hauswand zu rücken.
Übertreibung? Mitnichten – der Zug braust nur eine Armlänge von mir entfernt mit einem erstaunlichen Tempo vorbei. Danach bleibt auch genug Zeit für Instagram.
Ob zwei Tage oder zwei Wochen - Hà Nội lohnt sich immer
Unseren Hà Nội-Besuch hatten wir aufgeteilt auf insgesamt vier Tage und drei Nächte. Davon zwei Nächte bei Hoa im O Quan Chuong Homestay, direkt vor dem Tor (Ô Quan Chưởng) des Old Quarter. Nach anfänglicher Skepsis (das Wetter, ihr erinnert euch) haben wir diese pulsierende Metropole mit ihren rund acht Millionen Einwohner richtig lieben gelernt. Es sind die Gegensätze, die Hà Nội so anziehend machen.
Auf der einen Seite das alte Vietnam: gelebter Kommunismus, etwa bei den Paraden an Onkel Hos Grabstätte, wuchtige Architektur. Auf der anderen Seite das Vietnam im Aufbruch: junge Leute, aufgewachsen mit Coca Cola, Iphones und all dem anderen westlichen Zeugs. Kann man nur hoffen, dass Hà Nội die Balance hält zwischen Old- und Newschool.
So, die Backpacks sind gepackt. Es geht ans Meer. Oder wo möchtest du hin?